Philip Seifert:
Das UNESCO-Übereinkommen zum Schutz des Kultur- und Naturerbes der Welt und die Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland
Berlin: Duncker & Humblot, 2016, 372 S., 99,90 Euro
Die vorliegende Arbeit wurde Mitte 2013 an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Christian-Albrechts-Universität in Kiel als Dissertation angenommen; sie erschien drei Jahre später, wobei der Autor Aktualisierungen nur teilweise vorgenommen hat (Stand: 15.10.2016).
Es handelt sich um eine rechtswissenschaftliche Arbeit mit dem Ziel, die Beziehungen zwischen dem UNESCO-Übereinkommen und dem deutschen Rechts- und Verwaltungssystem im Hinblick auf die Einhaltung der Bestimmungen des Übereinkommens in den Ländern der Bundesrepublik Deutschland zu überprüfen.
Das Übereinkommen wurde am 16. November 1975 von der UNESCO-Generalkonferenz verabschiedet und trat am 17. Dezember 1975 in Kraft. Es gehört zu den tragenden Säulen der Organisation. Inzwischen ratifiziert von 192 Staaten, ist es eine der populärsten internationalen Vereinbarungen. Die Bundesrepublik Deutschland ist am 23. August 1976 dem Übereinkommen beigetreten.
Derzeit existieren 41 UNESCO-Welterbestätten in Deutschland, darunter sechs grenzüberschreitende Stätten, die weltweit zu einer engen Zusammenarbeit im Welterbe mit 15 Staaten geführt haben. Das Interesse an weiteren Eintragungen ist außerordentlich groß. Die deutsche Vorschlagsliste für zukünftige Nominierungen umfasst 18 Stätten (einschließlich Erweiterungsanträge bestehender Welterbestätten).
Das Interesse an diesem Themenbereich ist daher außerordentlich groß. Die vorliegende Arbeit ist in drei Teile gegliedert, die aus insgesamt 13 Kapiteln bestehen. Abschließend werden die wesentlichen Ergebnisse in 22 Thesen knapp zusammengefasst (S.343-344).
Der erste Teil enthält eine ausführliche Darstellung zum UNESCO-Übereinkommen. Nach dessen Entstehungsgeschichte werden die Vertrags- und beratenden Organe kurz dargestellt, um dann ausführlicher Inhalte und Verfahren zu diskutieren.
Bereits bei der historischen Darstellung wird deutlich, dass der Autor den internationalen Bezugsrahmen vor dem Hintergrund eines Mehr-Ebenen- Modells interpretiert. Sowohl bei der Geschichte des Kultur- als auch des Natur-Erbes differenziert er bereits zwischen nationalem und internationalem Schutz, wobei er auf die Vielzahl unterschiedlicher Definitionen des Begriffs „Kulturerbe“ und die damit verbundenen rechtlichen Schwierigkeiten beim Denkmal- und Naturschutz hinweist. In sämtlichen Kapiteln werden daher durchaus Bezüge zur deutschen Realität hergestellt.
Zu Recht weist der Autor auf die Vorarbeiten sowohl der UNESCO als auch der ersten UN-Konferenz über die menschliche Umwelt hin, die im Juni 1972 in Stockholm stattfand. Auch die gegenseitige Information und Kommunikation wird erwähnt.
Kritisch, unter anderem unter Hinweis auf die UNESCO-Verfassung, vermerkt der Autor, dass eigentlich weder die Stockholmer Konferenz sich mit dem Kulturerbe noch die UNESCO mit dem Naturerbe befassen durfte. Diese enge Auslegung würde der UNESCO als Organisation für Bildung, Wissenschaft und Kultur verbieten, sich mit aktuellen Problemen der Weltgesellschaft wissenschaftlich zu befassen und entsprechende rechtliche Konsequenzen zu ziehen. Hier ist ebenfalls zu vermerken, dass das Nachhaltigkeitskonzept, obwohl ohne namentliche Nennung dem UNESCO-Übereinkommen zugrunde liegend, an keiner Stelle seiner Arbeit diskutiert wird.
Bei der Behandlung der inhaltlichen Schutzverpflichtungen werden unterschiedliche Maßstäbe angelegt. Kritisch vermerkt der Autor, dass beim Vergleich selbst der authentischen englischen, französischen und spanischen Sprachfassung Abweichungen vorhanden sind. Dies gilt auch für die unverbindliche deutsche Version gegenüber der verbindlichen englischen Fassung. Diskutiert wird ebenfalls die Frage, wie der Artikel 5 des UNESCO-Übereinkommens zu interpretieren sei. Dort heißt es unter anderem, dass sich jeder Vertragsstaat bemühen werde, „nach Möglichkeit und im Rahmen der Gegebenheiten seines Landes“ den einzeln aufgelisteten Pflichten nachzukommen.
Der Autor kommt nach Abwägung unterschiedlicher Positionen zu dem Ergebnis, dass auf der nationalen Ebene nur die Einführung rechtlicher Mindeststandards für den Schutz des Erbes notwendig, aber in „nicht abschließend geregelten Fällen ein qualifiziertes Bemühen aller staatlichen Stellen “ erforderlich sei (S.70). Offen bleibt damit die Frage, ob nicht eine dynamische wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung eines jeden Vertragsstaates unterstellt werden kann, so dass ein Optimierungsgebot der rechtlichen Umsetzung in jeder Phase der Entwicklung gefordert ist.
Kritisch vermerkt der Autor, dass das Kriterium des „außergewöhnlichen universellen Wertes“ für eine Welterbestätte einerseits durch den anmeldenden Vertragsstaat bereits festgelegt wird, andererseits vom Welterbe-Komitee in die Welterbe-Liste eingetragen werden kann (oder auch nicht). Auch ist der Wunsch, eine angemessene, regionale Verteilung weltweit zu erreichen, nicht unbedingt verträglich mit dem genannten Kriterium.
Der Autor geht auch auf mehrere Fallstudien in Deutschland ein, wobei die Streichung des „Dresdner Elbtals“ aus der Liste des Welterbes im Juni 2009 im Mittelpunkt steht. Erst mit dem Streit um den Bau der Waldschlösschen-Brücke in Dresden wurde allgemein bekannt, dass das UNESCO-Übereinkommen ohne ein vorheriges Vertragsgesetz in der Bunderepublik Deutschland ratifiziert worden ist.
Sehr ausführlich geht der Autor im zweiten Teil auf sich daraus ergebene Fragen ein. Er kommt nach einer Gegenüberstellung unterschiedlicher Positionen zu dem Ergebnis, dass ein „Zustimmungs-, Umsetzungs- bzw. Vollzugsgesetz nach dem Inhalt des Übereinkommens rechtlich nicht geboten“ sei (S.176). Das UNESCO-Übereinkommen sei „ein Verwaltungsabkommen, was in verfassungsmäßiger Art und Weise abgeschlossen wurde“ (S.180).
Ohne Zweifel hat die Auseinandersetzung um den Bau der Waldschlösschen-Brücke zu einem beträchtlichen Lernprozess geführt, der auch ausführlich dargestellt wird. Die praktische Handhabung des UNESCO-Übereinkommens wird im dritten Teil dargestellt. Dabei geht der Autor auf die Rechtsprechung deutscher Gerichte in konkreten Fällen ein, wobei erneut dem „Dresdner Elbtal“ als Negativ-Beispiel eine ausführliche Darstellung gewidmet ist (S.237-263).
Noch immer fehlen verwaltungsrechtliche Umsetzungen unter Bezugnahme auf das UNESCO-Übereinkommen in vielen Ländern der Bunderepublik Deutschland. Auch mangelt es an entsprechender fachlicher Aufklärung der Gerichte auf den unterschiedlichen Ebenen. Die kommunale Ebene mit dem international geforderten Mitwirkungsrecht auch der lokalen Nichtregierungsorganisationen hat der Autor leider ausgeblendet.
Abschließend macht der Autor einen konkreten Vorschlag zum Abbau der Informations- und Kommunikationsdefizite in Deutschland: Es sollte ein „Ständiges Büro für das UNESCO-Welterbe in Deutschland“ eingerichtet werden, das beim Sekretariat der Kultusministerkonferenz anzusiedeln sei. Aber bereits Mitte Juni 2015 hat der Deutsche Bundestag die Bundesregierung aufgefordert, die Deutsche UNESCO-Kommission „als Nichtregierungsorganisation im nationalen Kontext dabei zu unterstützen, ihre Beratungs-, Informations- und Bildungsinitiativen als Kompetenzzentrum zum UNESCO-Welterbe in der Koordination mit anderen maßgeblichen Partnern … weiterzuentwickeln…“ (Drucksache 18/5216, S.5).
Nicht alle vom Autor genannten Aspekte, der sich sehr akribisch bemühte, unterschiedliche Positionen zu seinem Mehr-Ebenen-Modell herauszuarbeiten, konnten an dieser Stelle beleuchtet werden. Für den Nicht-Juristen ist es oftmals schwierig, sich in das strukturelle und funktionale Denken angemessen einzuarbeiten. Hier scheint es in der Tat notwendig zu sein, in einem wie auch immer organisierten „Kompetenzzentrum“ die vom Autor in sehr vielen Fällen angeschnittenen offenen Fragen weiter zu diskutieren.
Klaus Hüfner