Menschenrechte fallen nicht vom Himmel
Eine kleine Geschichte der Menschenrechte
Die Menschenrechte sind keine Erfindung des Westens. Teile der Schriften des altpersischen Kyros-Zylinders aus dem 6. Jahrhundert v. Chr. sind als erste „Charta der Menschenrechte“ anerkannt. 539 v. Chr. eroberten die Armeen von Kyros dem Großen, dem ersten König von Altpersien, die Stadt Babylon. Er befreite die Sklaven, erklärte, dass alle Menschen das Recht haben, ihre eigene Religion zu wählen, und stellte Rassengleichheit her.
Der Kyros-Zylinder. Photograph by Mike Peel, www.mikepeel.net
Diese altpersische Schrift und andere Erlasse wurden auf einem gebrannten Tonzylinder in akkadischer Sprache mit Keilschrift aufgezeichnet. Später wurden sie in die sechs offiziellen Sprachen der Vereinten Nationen übersetzt. Ihr Inhalt entspricht den ersten vier Artikeln der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte.
Weitere Dokumente, die als Wegbereiter neuzeitlicher Menschenrechtsdokumente gelten, sind zum Beispiel
- die Magna Charta aus dem Jahr 1215,
- die Verfassung der USA von 1787 oder
- die Französische Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte von 1789.
Die „Magna Charta der Demokratie“
Der neuzeitliche Kampf für die Menschenrechte begann kurz nach Ausbruch des Zweiten Weltkrieges. Im Jahre 1940 erschien in der Chicagoer Tageszeitung „Daily Herold" die „Declaration of Rights“. Darin wurde dem zunehmenden kollektiven Rassenwahn ein Konzept zur Neuordnung der Welt gegenübergestellt.
Einer privaten Initiative war es zu verdanken, dass der Kampf für Demokratie und für den Erhalt der individuellen Grundrechte wieder aufgenommen wurde. Bereits am 6. Januar 1941 erklärte Roosevelt in einer Rede zur Lage der Nation vier Freiheiten zur Handlungsmaxime der Außenpolitik der Vereinigten Staaten von Amerika:
- Rede- und Meinungsfreiheit,
- Religionsfreiheit,
- Freiheit von Not und
- Freiheit von Furcht.
Diese vier Freiheiten sollten keine Visionen für eine weit entfernte Zukunft sein, sondern von der lebenden Generation verwirklicht werden. Die Erklärung ging in die amerikanische Geschichte als „Magna Charta der Demokratie“ ein.
Die Atlantik-Charta
Ein weiterer wichtiger Schritt hin zu einer Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte war die Atlantik-Charta aus dem August 1941. Ihre Vereinbarungen umfassten insbesondere:
- Verzicht auf Annexion,
- territoriale Veränderungen nur unter Zustimmung der betroffenen Völker,
- Selbstbestimmungsrecht der Völker,
- Aufbau einer umfassenden Friedensordnung mit der Garantie der Freiheit von Furcht und Not, sowie
- allgemeiner Abrüstung und eine umfangreichen Entwaffnung der Aggressorstaaten.
Aber so linear ging die Entwicklung leider nicht weiter. Gerade am Gedanken der „universellen Gültigkeit“ schieden sich die Geister. Das britische Empire widersetzte sich insbesondere dem Selbstbestimmungsrecht der Völker, sprich: der Selbstbestimmung seiner Kolonien. Später, nach Ende des Zweiten Weltkrieges, sollte sich Frankreich diesem britischen Votum zu Lasten der Kolonien anschließen.
Die „Erklärung der Vereinten Nationen“
Zunächst hielten nur die Vereinigten Staaten von Amerika an der universellen Gültigkeit der Charta fest. Man wollte keinen Krieg zum Erhalt der europäischen Kolonialreiche führen.
Im Rahmen einer neuen internationalen Organisation sollten die elementaren Grundrechte nicht nur geschützt, sondern Basis der neuen Weltordnung werden. Menschenrechte sollten die moralische Grundlage der internationalen Neu-Ordnung nach Kriegsende bilden. Dies schien mit der „Erklärung der Vereinten Nationen“ vom 1. Januar 1942 auch zu gelingen. 26 Staaten, darunter China, die UdSSR, Kanada, Australien, Kuba und die Südafrikanische Union akzeptierten die Prinzipien der Atlantik-Charta als gemeinsame Handlungsmaxime der sogenannten „Anti-Hitler-Koalition“.
Einer der ersten Versuche, den Gültigkeitsanspruch der Menschen- und Bürgerrechte über Europa und Amerika hinaus zu erweitern, war die vom African National Congress (ANC) am 16. Dezember 1943 verabschiedete Erklärung "Africans' Claims in South Africa".
Bis zum 1. März 1945 war die Zahl der Unterzeichner der „Erklärung der Vereinten Nationen“ auf 47 Staaten gewachsen, die fortan als Signatarstaaten der Vereinten Nationen galten. Damit war die Gründung der Vereinten Nationen eingeleitet, und die Grundlage einer Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte war geschaffen als sinnstiftende Antwort auf die totalitäre Herausforderung Nazi-Deutschlands.
Was aber geschah auf der Konferenz von Dumbarton Oaks von August bis Oktober 1944?
Die vier Großmächte USA, Sowjetunion, Großbritannien und China berieten über die Gestaltung einer neuen Weltordnung nach Kriegsende. Doch sie ließen jegliche Bezugnahme auf die Menschenrechte vermissen. Ihr einziges Interesse bestand im Erhalt ihrer Machtpositionen. Aus Furcht vor dem Verlust nationaler Souveränitätsrechte wurden wesentliche Aspekte der Atlantik-Charta nicht berücksichtigt.
Die Konferenz von Dumbarton Oaks
Es folgte ein Proteststurm anderer Unterzeichner der „Erklärung der Vereinten Nationen“, von Nicht-Regierungs-Organisationen wie auch von der Bevölkerung in den Kolonien. Denn mit dem öffentlichen Eintreten für Gleichheit und Freiheit hatten die Alliierten klare Maßstäbe vorgegeben, an denen ihr Handeln nun gemessen wurde. Das moralische Rüstzeug der Alliierten im Kampf gegen die totalitäre Herausforderung wurde nun zur moralischen Basis der Nationalbewegungen auf dem Boden ehemaliger Kolonien in Afrika und Asien.
Das Dilemma der Alliierten bestand darin, an den eigenen Maßstäben gemessen zu werden, die sie selbst im Kampf gegen die totalitären Rassenideologien ausgerufen hatten - insbesondere hinsichtlich des Eintretens für Rassengleichheit und Selbstbestimmungsrecht der Völker sowie für individuelle Freiheitsrechte.
24. Oktober 1945: Charta der Vereinten Nationen
Nur durch heftige Proteste - insbesondere aus den Kolonien – konnte sich die Gründungskonferenz der Vereinten Nationen in San Francisco noch zu einem markanten Wendepunkt für den internationalen Schutz der Menschen- und Völkerrechte entwickeln. Insbesondere die Präambel wie auch Artikel 1 der Charta machten den Auftrag an die „Völker der Welt“ deutlich.
10. Dezember 1948: Verabschiedung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte
Die Generalversammlung der Vereinten Nationen in Paris verabschiedet die Erklärung mit 48 Ja-Stimmen, 0 Gegenstimmen und 8 Enthaltungen. Die Enthaltungen kamen von der Sowjetunion, der Ukraine, Weißrussland, Polen, der ČSSR, Jugoslawien, Saudi-Arabien und Südafrika.
Autoren der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte waren ein Kanadier, ein Libanese, zwei Franzosen und ein Chinese, unter der Leitung einer US-Amerikanerin, Eleanor Roosevelt.
Der Text der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte gilt bis heute als ein schwieriger Kompromiss, unter den Vorzeichen des Kalten Krieges entstanden. Sein Erfolg aber ist nicht zuletzt auf die internationale Zusammensetzung dieser Gruppe zurückzuführen, in der unterschiedliche Ideologien und Nationalitäten vertreten waren.
Bis heute nicht erreicht wurde allerdings das Ziel der Konferenz, wie es der damalige US-Präsident Harry S. Truman in seiner Begrüßungsbotschaft formulierte:
die Errichtung einer neuen Welt,
die auf dem Respekt der menschlichen Würde basiere.